Schallleitungs- und Schallempfindungsschwerhörigkeit
Unter den Hörstörungen wird zwischen verschiedenen Formen der Schwerhörigkeit unterschieden: Schallleitungs- und Schallempfindungsschwerhörigkeit.
Bei einer Schallleitungsschwerhörigkeit liegt eine Beeinträchtigung der Weiterleitung des Schalls im Bereich des Außen- und Mittelohrs vor. Ursachen können anatomische Fehlbildungen, Entzündungen, Blockaden oder Funktionsstörungen der Ohrmuschel, des Gehörgangs oder des Trommelfells sein. Im Mittelohr können zudem ein Tubenverschluss, Paukenergüsse oder Vernarbungen nach Entzündungen die Schallweiterleitung behindern. Eine besondere Form stellt die Otosklerose dar, eine Erkrankung des knöchernen Labyrinths, die durch entzündungsähnliche Umbauprozesse zur Fixierung der Steigbügelplatte im ovalen Fenster führt und so eine zunehmende Schallleitungsschwerhörigkeit verursacht. Neben genetischen Faktoren, Altersschwerhörigkeit, Lärmexposition oder Erkrankungen können auch plötzliche Ereignisse wie ein Hörsturz oder ein Tinnitus auftreten, die sich auf das Hörvermögen auswirken.
Zur Behandlung einer Schallleitungsschwerhörigkeit stehen heute vielfältige Methoden zur Verfügung. Während einfache Blockaden des Gehörgangs durch Spülungen entfernt werden können, kommen bei komplexeren Ursachen medikamentöse und chirurgische Verfahren zum Einsatz. Besonders bei Verletzungen oder Unterbrechungen der Gehörknöchelchenkette spielen passive und aktive Mittelohrimplantate eine entscheidende Rolle. Passive Mittelohrprothesen, wie Steigbügelprothesen oder partielle und totale Ossikelrekonstruktionen, dienen dem mechanischen Ersatz geschädigter oder fehlender Gehörknöchelchen und stellen so die Schallweiterleitung weitgehend wieder her. Unser Forschungsteam ist an der Entwicklung mehrerer solcher Implantate beteiligt, darunter beispielsweise eine passive Steigbügelprothese der Firma MED-EL.
Passive stapes prothese
Steigbügelprothesen werden eingesetzt, um die Schallweiterleitung bei einer durch Otosklerose verursachten Fixierung des Steigbügels wiederherzustellen. Die Prothese wird entweder am langen Fortsatz des Ambosses oder in Ausnahmefällen am Hammergriff verankert. Dadurch kann die mechanische Kopplung zwischen Mittelohr und Innenohr erneuert werden. Diese Prothesen bestehen aus biokompatiblen Materialien wie etwa Titan, das aufgrund seines geringen Gewichts, seiner hohen Steifigkeit und seiner Korrosionsbeständigkeit besonders geeignet ist. Bei der Stapedotomie wird eine kleine Öffnung in die fixierte Steigbügelfußplatte gebohrt oder mittels Laser erzeugt. In diese Öffnung wird der zylindrische Kolben der Stapes-Prothese mit einem Durchmesser von 0,4 bis 0,8 mm eingeführt. Das andere Ende wird um den Processus lenticularis des Ambosses geklemmt oder mittels eines Clips fixiert. Die Prothese stimuliert die Innenohrflüssigkeit, wodurch das Hörvermögen signifikant verbessert werden kann.
Durch die Kombination von Laser Doppler Vibrometrie (LDV) Messungen, Felsenbeinversuchen und Finite-Elemente (FE) Modellierungen kann das Design der Stapes-Prothese iterativ optimiert werden. Ziel ist eine bestmögliche Schallübertragung bei gleichzeitiger mechanischer Stabilität und Biokompatibilität. Mittels LDV wird das dynamische Schwingungsverhalten der Stapes-Prothese untersucht. Durch gezielte Anregung und Messung der Schwingungsantwort lassen sich die Schallübertragungseigenschaften bewerten und mit denen eines natürlichen Steigbügels vergleichen. Dies ermöglicht eine Optimierung der Prothesenform und -masse zur Verbesserung der akustischen Leistung. Experimentelle Tests an isolierten menschlichen Felsenbeinen erlauben eine realitätsnahe Analyse der Prothesenfunktion unter anatomischen Bedingungen. Hierbei wird die Prothese implantiert, und die resultierenden Übertragungseigenschaften werden gemessen. Numerische Simulationen mittels FE-Methoden helfen, verschiedene Einflussfaktoren auf die Prothesenfunktion zu analysieren. Darunter beispielweise der dynamische Aspekt der Befestigung der Prothesenschlaufe, um eine stabile Ankopplung an den Ambossfortsatz bei minimaler Beeinträchtigung der Schwingungseigenschaften zu gewährleisten. Die iterative Verbesserung des Designs basiert auf den Ergebnissen der LDV-Messungen, Felsenbeinversuche und FE-Modellierungen. Die gewonnenen Daten helfen, die Prothese gezielt anzupassen, um eine langfristig stabile und effektive Hörverbesserung zu gewährleisten.


Bei komplexeren Schädigungen oder wenn eine ausreichende Schallleitung nicht durch passive Implantate erreicht werden kann, bieten aktive Mittelohrimplantate eine Alternative. Diese Systeme, die Schallschwingungen direkt an die Innenohrstrukturen oder die Mittelohrknöchelchen weiterleiten, ermöglichen eine präzisere Verstärkung des Höreindrucks.
Ein innovativer Ansatz innerhalb der aktiven Hörimplantate ist die Hörkontaktlinse der Vibrosonic GmbH.
Hörkontaktlinse von Vibrosonic
Mehr als sechs Millionen Menschen in Deutschland gelten als mittel- bis hochgradig schwerhörig – und doch trägt nicht einmal die Hälfte der Betroffenen Hörgeräte. Viele Menschen verzichten auf Hörgeräte, weil sie ein Pfeifen im Ohr wahrnehmen, ihre Stimme für sie selbst anders klingt oder ganz einfach: weil sie einen zu geringen positiven Effekt spüren.
Die Hörkontaktlinse (HKL) ist ein von der Vibrosonic GmbH entwickeltes innovatives Hörgerät mit direkter mechanischer Anregung des Trommelfells. Wenige Millimeter im Umfang klein, passt sie locker auf eine Fingerspitze. Oder, und das ist wichtiger, in den Gehörgang. Im 3D-Drucker gefertigt, hat die Hörkontaktlinse die gleiche Form wie das Trommelfell der Trägerin oder des Trägers. Sie sitzt daher direkt auf dem Trommelfell und überträgt den Schall mechanisch. Es ist folglich keine akustische Anregung oder ein Lautsprecher-System wie übliche Hörgeräte, die den Schall verstärken.
Die HKL wird mit Hilfe der MEMS-Technologie (micro-electromechanical system) hergestellt und direkt auf dem Trommelfell platziert. Sie nutzt einen neuartigen piezoelektrischen Aktor, der das Trommelfell direkt mit einer mechanischen Auslenkung zu Schwingungen anregt. Dadurch können hohe Töne besonders gut verstärkt werden, was sich positiv auf die Klangqualität und das Sprachverständnis auswirkt und ideal für Altersschwerhörige ist. Und das, ohne den Gehörgang komplett zu verschließen. Die Schnittstelle zum Trommelfell wird über eine Silikonkappe hergestellt, deren Form dem individuellen Trommelfell entspricht. Ein dünner Ölfilm zwischen der Silikonkappe und dem Trommelfell sorgt für einen Kontakt zum Trommelfell. Soundprozessor, Batterie und das Mikrofon sind in der derzeitigen Ausbaustufe mit einem Hinter-dem-Ohr-Modul verbunden.
Simulationen mit einem Finite-Elemente-Modell (FE-Modell) bieten eine zuverlässige Möglichkeit, die Leistungsfähigkeit der HKL abzuschätzen. Zur Validierung des mathematischen Modells werden Laser-Doppler-Vibrometer-Messungen an der HKL durchgeführt. Mit Hilfe von Simulationen können Forschungsfragen hinsichtlich einem optimalen mechanischen Aufbau des Aktuators und seiner mechanischen Ankopplung zum Trommelfell untersucht werden.


Der vergleichsweise steife Aufbau der Hörkontaktlinse ist nicht in allen Belangen von Vorteil, weil sich das Trommelfell bei statischen Druckschwankungen, wie beim Tauchen oder im Flugzeug, verbiegt. Daher forschen wir im Projekt „TYMP-CONTACT“, welches von der Carl-Zeiss-Stiftung gefördert wird, an einer elektroaktiven Folie, die eng auf das Trommelfell aufgelegt wird und sich quasi an das Trommelfell anschmiegt, ähnlich wie eine Augenlinse. Die Trommelfelllinse soll an das Trommelfell angepasste Kontakteigenschaften aufweisen und in ihrem mechanischen Aufbau so ausgelegt sein, dass sie optimale Übertragungseigenschaften für Klangqualität und Sprachverständlichkeit bietet.
Das übergeordnete Ziel des Projekts ist die Erforschung von Funktionalisierungsstrategien der silikonierten Oberfläche für eine Materialplattform. Mit dieser können Oberflächeneigenschaften gezielt anwendungsspezifisch angepasst werden, z. B. auch zur besseren Heilung als Wundauflage.